Nordkap-Tunnel knapp verfehlt
Nachts bin ich viel draussen, aber es bleibt bedeckt, manchmal klart es kurz auf und dann sieht man grüne Schimmer. Ich muss mein ganzes fotografisches Können aktivieren: die Schweinwerfer des Nordkap-Globus mit Schnee verdunkeln, damit ich lange Belichtungszeiten einstellen kann, so dass man auf den Fotos etwas grünes sieht. Alles nur möglich mit einem guten Stativ, das der Wind zum Glück noch nicht umweht. Nachdem ich drei halbwegs gute Fotos im Kasten habe, packe ich zusammen und krieche bei Anita unter die Decke.
Ich habe den Wecker auf 6 Uhr gestellt, dann soll klarer Himmel sein und da es noch stockdunkel ist, der nächste Versuch starten. Allerdings höre ich entweder den Wecker nicht oder er geht nicht ab, erst eine halbe Stunde später werde ich durch ein schaukelndes Wohnmobil wach. Es stürmt draussen. Mist, wir hätten es wissen müssen: Sturm war von Sonntagmorgen bis Montag angesagt und wir haben es verpasst, frühzeitig vom Nordkap runter zu fahren. Man hätte nur das Hirn einschalten müssen. Bei so einem Sturm und der relativ schmalen Strassen gibt es sicher grosse Schneeverwehungen und das ist Gift für unser Knutschi. Etwa um halb zwölf werden die Busse der Hurtigrouten hierher kommen und die Touristen ausladen, vorher wird sicher ein Räumfahrzeug die Strassen säubern. Wir machen uns bereit, dass wir dann die Ankunft der Busse nicht verpassen und sofort danach runter fahren können.
Allerdings kommt schon um halb 10 Uhr ein Räumfahrzeug mit den Angestellten im Schlepptau, das Räumfahrzeug dreht auf dem Parkplatz und fährt wieder zurück. Also eiligst alles bereit machen und so schnell wie möglich hinterher. Die Verwehungen sind nicht mehr ganz so stark, weil das Räumfahrzeug schon 2x durch ist, aber der Wind bläst von der Seite und die Strasse ohne Schneeverwehungen aalglatt. Die reinste Eisbahn. Zum Glück haben wir die Schneeketten noch auf und so tuckern wir konzentriert mit maximal 40km/h Richtung Honningsvåg.
Die Landschaft und die Lichtstimmung sind phänomenal, rote Sonne, rötliche Landschaft, rötlicher Schnee der über die Strasse geweht wird. Nur das Fahren ist nicht ganz so knusprig, Seitenwind bei unserem Knutschi auf den total vereisten Strassen ist nicht mein Liebling.
In Honningsvåg noch schnell zur Tankstelle und dann vor dem ersten 4km langen Tunnel auf dem Kettenplatz die Schneeketten abmontieren. Ab jetzt ist es ja nur noch flach, da sollte es gehen. Im Sturm Ketten demontieren und möglichst schnell ins warme Knutschi zurück, dann fahren wir los, wir wollen auf die 889 Richtung Havøysund.
Wir haben das Gefühl, der Wind wird noch stärker, als wir vom ersten Tunnel raus sind. Danach sehen wir schon bald die Einfahrt des Nordkaptunnels, also Kamera einschalten und die Einfahrt filmen. Und dann kommt eine Böe, ich merke, wie das Heck von unserem Knutschi nach rechts in den Strassengraben zieht, gebe Gegensteuer, sehe nur noch Tafeln, Kandelaber, Schnee und Eis. Und mein Knutschi driftet mit dem Wind auf der Strasse umher, ich bin nur noch Passagier. Zuerst rechts in den Graben, dann wieder auf die Strasse und gefährlich nahe an die Leitplanke links, bevor es wieder rechts endgültig in den Strassengraben geht! Ich habe keine Ahnung, wie mir geschieht, Anita ist kreidebleich daneben. Zum Glück habe ich mal einen Wohnmobilschleuderkurs gemacht, das rettet uns heute fast. Ich sah nur noch Kandelaber und Tafeln, aber einfach nicht hinschauen, sondern dorthin, wo wir hinfahren wollen. So habe ich mich voll auf die Strasse konzentriert, habe aber keine Ahnung, ob wir Tafeln, Kandelaber gestreift oder voll getroffen haben. Es stellt sich aber heraus, dass wir keine Schramme haben und auch überall knapp vorbei kamen.
Schneeverwehung auf der Hauptstrasse
Also steigen wir aus, stehen fast nicht möglich und als ich die Schneeschaufel aus der Garage hole, weht der Wind sie mir fast aus der Hand. Wir sind mit allen vier Rädern neben der Strasse, aber zum Glück ist der Schnee nicht so tief, ich muss nur etwa 10cm freischaufeln.
Ein Automobilist hinter uns hält an und bietet seine Hilfe an, allerdings mit dem Hinweis, dass er uns wahrscheinlich mit seinem 4x4 Pick-Up bei diesen glatten Strassen nicht viel helfen kann. Da wir uns noch nicht eingegraben haben, erkläre ich ihm, dass ich die Schneeketten montieren könnte und mit vereinten Kräften, Schneeketten und Abschleppseil am Pick-Up, kommen wir beim ersten Versuch wieder auf die Strasse. Riesiges Glück gehabt. Während wir das Abschleppseil abhängen, kommt die nächste Windböe und drückt unser Knutschi mit den Hinterrädern wieder seitlich von der Strasse. Ich kriege schier einen Schock, als ich das sehe… Zum Glück hatten wir vorne noch die Schneeketten drauf, sonst wären wir wieder am Ausgangspunkt gelandet. Es windet noch immer extrem, Anita hat keine Chance, die eisige Strasse gegen den Wind zu Fuss zu überqueren. Einfach nur krass.
Irgendwie retten wir unser Knutschi dann auf die andere Strassenseite in die Notfallbucht, die rettende Tunneleinfahrt ist nur 20m entfernt! Wir demontieren die Ketten, schmeissen sie in die Garage und warten den Zeitraum zwischen zwei Böen ab um dann so schnell wie möglich in den Tunnel zu kommen.
Der Schock sitzt in unseren Gliedern, aber wir hatten riesiges Glück. Wir hätten auch voll den Kandelaber treffen können oder mit dem Heck seitlich einschlagen, die Ferien wären zu ende gewesen. Aber so, kein Kratzer! Gute Fahrkünste eben! Nein, nicht überheblich werden, reines Glück, aber der Womo-Schleuderkurs hat ganz sicher extrem viel geholfen! Und echt, wir konnten nicht viel dafür, aber auch mit 50km/h sind wir wahrscheinlich zu schnell gefahren.
Im Nordkap-Tunnel habe ich dann richtig Schiss bei der Ausfahrt, aber dort hat es nicht mehr ganz so viel Wind, aber die Strassen noch immer spiegelglatt. Wir fahren mit 40km/h, egal, wenn uns ein einheimisches Auto mit doppelter Geschwindigkeit überholt. Wir machen auch einem Räumfahrzeug gerne Platz, so sind dann vor uns die Schneeverwehungen wenigstens einigermassen weg, auch wenn wir dem Räumfahrzeug nicht folgen können, es fährt für uns zu schnell.
Die Landschaft ist traumhaft, noch immer Sonnenauf- oder Untergang, knallrot, Schnee, den es über die Strasse weht, die Sonne, die sich in der Strasse spiegelt, links das Meer.
Nur unser Ziel, das wir anvisieren wollten, interessiert uns nicht mehr. Wir wollen nur noch auf den rettenden Campingplatz in Olderfjord und unser Knutschi heil abstellen. Wichtig ist, dass wir gesund sind und keine Schäden am Wohnmobil haben. Wohin und wann, das ist Nebensache. Auch ob noch Nordlichter kommen oder nicht, sowas ist uns momentan total egal.
Wir haben ja gerne etwas Abenteuer, aber das heute war definitiv zu viel in zu kurzer Zeit.
Sonnenaufgang 9:18 Uhr, Untergang 14:01 Uhr, Tageslänge 4:43 Std.
sehr starker Wind, leicht bewölkt, -4 bis -8 Grad
2.2.2025 - Phuu das ist ja der absolute Horror was ihr heute erlebt habt. Da waren ein paar Schutzengel im Einsatz. Zum Glück ist nichts passiert! Weiterhin gute Fahrt wenn möglich ohne eisige Strassen & Sturm
Ernst & Andrea
2.2.2025 - Warum bereits montierte Schneeketten abmontieren, nur weil es kein Gefälle/Steigungen hat, aber immer noch Schnee bzw Eisstrasse und vor allem Sturmwind hat, verstehe ich nun wirklich nicht. Ich hatte mal in Finnland mit einem normalen PW mit Spikes auf einer vereisten Brücke Seitenwinderfahrungen gemacht. Und die seitliche Angriffsfläche eines WOMO sind ja ein Mehrfaches, auch bei Schritttempo. Da hilft nur eines: warten auf günstigere Wetterverhältnisse. Ist ja mit WOMO kein Problem. LG und passt auf!!! Andreas&Pirkko
Andreas
2.2.2025 - Tja, im Nachhinein ist man immer schlauer. Allerdings sind wir das einzige Auto (inkl. Touristen aus Deutschland mit dem eigenen Auto) in den letzten drei Tagen, das hier mit Ketten unterwegs war. Da kommst du dann schon ins grübeln, ob es wirklich nötig ist. Und die beiden Tunnels von 4 und 7km Länge wollte ich jetzt auch nicht unbedingt im trockenen mit Ketten durchfahren. Aber eben, danach weiss man es immer besser... Wieder was gelernt.
Rolf
2.2.2025 - Liebe Anita und Rolf, das wollte ich natürlich auch noch sagen: ihr habt ja grosses Glück gehabt, auch wegen dem Können von Rolf. Gute Fahrt in arktischem Gebiet.
Andreas
3.2.2025 - Bei solchem Sturm ist der lange Hecküberhang ein zusätzlich langer Hebelarm als Angriffsfläche. Ein Aspekt den ich bisher auch noch nirgendwo gelesen habe.
DETER Detlev
3.2.2025 - Zum Glück ist es gut ausgegangen :-) Waren Spikesreifen für Euch kein Thema? Die Strassen sind ja wirklich supereisig. Weiterhin eine schöne Reise!
Jürg
4.2.2025 - Übrigens: der Trucker Verband in Norwegen empfiehlt auf der Antriebsachse je eine Schneekette, aber auf der anderen Achse eine Schneekette zu montieren - das hätte möglicherweise das seitliche Versetzen durch den Sturm gebremst. - Aber ist ja alles gut gegangen Danke für Eure spannenden Berichte.
Detlev