Russische Grenze
über dem Bach der rot-grüne Pfahl der Russen
Durch drei laute Töne der Schiffssirene des Hurtigrutenschiffes werden wir heute geweckt. Die «Vestralen» kommt an ihrem Endhafen in Kirkenes an und feiert das mit drei lauten hupen. Sie läuft pünktlich ein, also ist es schon 9 Uhr. 3 ½ Stunden später ist sie wieder vollgetankt, neue Passagiere an Bord, Vorräte aufgefüllt und bereit zum ablegen.
Wir legen auch ab und fahren von unserem Platz am Hafen ostwärts. Nach nur 15km stehen wir an der russischen Grenze, der Grenzübergang ist geöffnet, aber wir, die nicht vorhaben, diese Grenze zu überschreiten, dürfen uns nur bis zu 100m nähern und müssen auf dem Kehrplatz wieder umdrehen. Wir wollen 45km lang die Fv8860 bis zum Endpunkt «Grense Jakobselv» am Meer fahren. Es ist die Strasse, die am nächsten an der russischen Grenze vorbeiführt. Die Fahrt ist wunderschön, vorbei an Seen und Bergen auf einer etwas holprigen, schmalen Strasse. Aber irgendwie kommt keine richtige Ferienstimmung auf, wenn man weiss, dass das Land rechts von uns Krieg führt, um sein Territorium zu vergrössern. Wie kann so etwas in der heutigen Zeit geschehen? Nur weil ein machthungriger Mensch das will? Wir sinnieren darüber nach, was die Stimmung auch nicht wirklich besser macht. Nach 35km fahren wir dem Grenzbächlein entlang. An der inzwischen Naturstrasse gibt es gelbe Pfähle mit Warntafeln, die die Grenze Norwegens markiert. Auf der anderen Seite des Bächleins sind die Pfähle rot-grün, das ist Russland. Ein komisches Gefühl, wenn man da einfach hinüberschauen kann und weiss, wenn wir über die Mitte des Baches waten würden, hätten wir wahrscheinlich ganz schnell ein Problem. In Russland sind übrigens die 15km zur Grenze Sperrzone und dürfen von der Bevölkerung nicht betreten werden.
Wir getrauen uns kaum, bei einem dieser gelben Pfähle anzuhalten und ein Foto des grün-roten zu machen. Warnschilder weisen darauf hin, dass die Grenze Kameraüberwacht ist. So fahren wir mit einem beklemmenden Gefühl weiter bis zum Endparkplatz, wo doch schon einige Womos stehen. Wir ergattern einen Platz in der ersten Reihe mit Sicht auf das Meer. Wir richten uns ein, über Nacht zu bleiben. Zwei Stunden später sind wir immer noch nicht wieder in Ferienstimmung, die Womos stehen ziemlich eng, die gegenüberliegende Militärstation der Russen und im Rücken eine Radarstation der Norweger heben die Stimmung auch nicht wirklich. Die Natur ist wunderschön, aber wir wollen ein gutes Gefühl und das kommt hier bei uns nicht auf.
König-Oskar-II.-Kapelle an der Grenze zu Russland
So entschliessen wir spontan, wieder zurück zu fahren. Erst als wir den letzten gelben Pfahl und sein grün-rotes Pendant über dem Bach hinter uns lassen, können wir die Gegend wieder geniessen. Es ist wunderschön und wir wissen, den richten Entscheid getroffen zu haben.
So passieren wir nochmals Kirkenes, tanken noch 12 Liter Diesel (unsere Tankfüllung muss nur bis knapp hinter die Grenze von Finnland reichen, denn dort tanken wir viel günstiger. CHF 2.01 zu CHF 1.65. Bei einem Tankinhalt von 110 Litern macht das 40 CHF aus, die wir aber dennoch in der letzten Tankstelle in Norwegen investieren: wir essen typisch norwegisch einen Hamburger an der Tanke…)
Danach fahren wir Richtung Finnland, wo wir die Grenze ohne Kontrolle passieren, an der ersten Tankstelle Diesel voll auffüllen und noch einige Kilometer weiter fahren und dort in einem Wald (es hat nur Wald hier) auf die wahrscheinlich uralte ehemalige Haupt-Strasse einbiegen und 200m weiter in einer Ausbuchtung stehen bleiben und uns für die Nacht einrichten.
Hier sehen wir nun auch die erste Mücke unserer ganzen Reise. Dies hat aber auch ihre Eltern, die Kinder, Cousins, Nichten und alle anderen Verwandten und Bekannten mitgebracht. Raus aus dem Womo und die Drohne fliegen zu lassen, gleicht einem Selbstmordkommando und kann nur in Angriff genommen werden mit Pelerine, Kapuze und an den Händen und Gesicht Antimückenspray. Anita wagt es gar nicht erst, vor die Tür zu treten. Ich überlebe knapp und entschliesse, auch heute unsere Campingstühle nicht nach draussen zu nehmen. Wir geniessen das Innenleben unseres Knutschi hier in Finnland.
Aufgrund der Erfahrungen von heute, haben wir unseren geplanten Ausflug zum Treriksrøysa (Dreiländerpunkt zwischen Norwegen, Finnland, Russland) gestrichen. Es wären über 100km hin und 100km Fahrt auf schlechten Strassen zurück und dann noch einen Fussmarsch von 10km. Und beim Steinhaufen, der diesen Punkt markiert, darf man nicht rundherum laufen, denn das russische Terrain darf man auf keinen Fall betreten. Nur schon, wenn man die Hand auf die russische Seite streckt, drohen in Norwegen Bussen zwischen 500 und 4000 CHF. Absolut irrsinnig! Stimmung kommt da wahrscheinlich keine auf und nur wegen des Nervenkitzels, das brauchen wir nicht mehr. Unsere winterliche Erfahrung vor einigen Jahren reicht uns bis heute…
Am 21. Juni ist die Sonnenwende und darum das Mittsommerfest vor der Türe. Aber es ist gar nicht so einfach, die Daten im Griff zu haben. Das Mittsommerfest geht nämlich auf den julianischen Kalender zurück, wo die Sonnenwende jeweils am 24. Juni gefeiert wurde. In Finnland feiert man dieses Fest am Samstag, der am nächsten am 24. liegt. Das ist dieses Jahr also am 22. Juni. In Schweden wird jeweils am Freitag, der am nächsten am 24. liegt, gefeiert, also jetzt am 21. Juni. Und die Norweger feiern immer am Abend des 23. Junis…
Wenn wir Pech haben, verpassen wir das Mitsommerfest also in jedem Land, denn bis morgen schaffen wir es nicht bis Schweden. Aber wir haben ja kein Pech und werden nun unsere Reisepläne etwas anpassen.
Sonnenauf- und Untergang: -
184km
9,0 Liter
49km/h
3:44 h Fahrzeit