und frierende Asiaten mit zwei Schweizern
starker Mann (ich)
Als wir den Motor starten, ist uns schon etwas mulmig, springt er an oder nicht? Das Thermometer zeigt nämlich -22 Grad und es fühlt sich wie minus fünfzig an. Beim ersten Versuch klappt es bestens, allerdings röchelt und stöhnt der Motor schon ein wenig, so lassen wir ihn drei Minuten etwas warm laufen, bevor wir sachte aufs Gaspedal drücken. Sachte ist angesagt, da es unter den 3cm Neuschnee blankes Eis hat. Aber wie immer bisher, kommen wir gut weg und sind schnell auf der Hauptstrasse. Stichwort schnell: es geht ganze 11:20 Minuten, bis dann aus der Heizlüftung des Fiats endlich warme Luft strömt und die Eisblumen an den Fenstern zu schmelzen beginnen. Die Eisblumen an den Seitenfenstern haben wir während der ganzen Fahrt, so ein Fiat ist einfach nicht gemacht für -22 Grad, ein Italiener eben.
Wir kommen dennoch gut voran und schon 74km später stellen wir auf dem Parkplatz beim Eisschloss in Kemi den Motor ab. Nicht das Eisschloss ist unser Ziel, sondern der einzige Eisbrecher, der Touristenfahrten macht. Herausgefunden habe ich das im Web schnell, aber bis ich gebucht hatte, verging eine Ewigkeit. Überall gibt es Werbung für diese Eisbrecherfahrt mit dem Schiff Sampo in Kemi. Eine Fahrt für 2 Personen kostet 808 €, inbegriffen ist die Besichtigung des Eisschlosses, eine Edelsteinsammlung, Eisschwimmen in Anzügen auf dem Meer, kostenloser Transfer vom Hotel und eine künstliche Indoor-Eisbeleuchtungsshow. Wollen wir das alles? Nein. Wollen wir über 800 € bezahlen für eine dreistündige Fahrt? Nein. Also lassen wir es auf der Seite. Aber dann finde ich später heraus, dass es auch den Eisbrecher Artica gibt. Etwas neuer, moderner, aber Artice macht die gleiche Fahrt wie Sampo. Kostenpunkt 606 €. Na ja, schon besser, aber irgendwie immer noch etwas teuer für uns. Wobei, es reut mich dann schon, wenn wir diese Fahrt nicht machen. So surfe ich nochmals herum und plötzlich bin ich auf einem Angebot eines Ausflugsanbieters, der die gleiche Fahrt mit 20% anbietet, das heisst, wir müssten für die Fahrt nur 430 € bezahlen. Für so ein Schnäppchen wird nicht lange überlegt und gleich gebucht. Leider sehe ich erst später, dass dieses Icefloating, Eisschwimmen im Meer, auch darin enthalten ist. Wer will denn so was? Im kalten Meer mit vielen unbekannten und gefährlichen Viechern im Wasser, die Hunger haben? Und der Grund was weiss ich wie weit unten? Nein Danke. Aber schon zu spät.
So sind wir heute eben in Kemi gelandet bei der Check-In-Halle. Es hat viele Asiaten hier, irgendwie fremd in ihrem Benehmen, und ein Bus am andern fährt mit Leuten vor. Klar, wir wussten, dass es Touristen sind, wir sind ja auch welche, aber zählen wir da auch dazu?
Weil wir etwas zu früh hier sind besichtigen wir die Eisburg, sagen wir es mal diplomatisch: es ist es nicht wert, dafür in die Kälte herauszutreten. Wir haben vor sechs Jahren das Eishotel in Jukkasjärvi besucht und das ist mindestens 100x schöner…
Egal, etwas später sind wir im Chaos, den Shuttlebus zu besteigen, unglaublich, wie sich manche Menschen verhalten oder verstehen wir einfach ihre Mentalität nicht? Der Shuttlebuss führt uns in 10 Minuten zum Industriehafen, wo die Eisbrecher vor Anker liegen. Hier in Kemi ist übrigens die einzige Chrom-Mine Europas, und gerade gestern wurde bekannt, dass diese noch bis 2050 genug Chrom hat und sicher bis dahin weiter unter Tage abgebaut wird. Chrom braucht man übrigens zur Herstellung von Edelstahl. Darum gibt es hier auch einen Industriehafen, wo nur Fahrzeuge hin dürfen, die eine Bewilligung haben (darum können wir nicht mit unserem Knutschi hin).
Egal, wir sind auf dem Eisbrecher Artica angekommen, sau kalt, und trotz meinen langen Unterhosen, darüber Jogginghosen und dann noch die Wanderhosen als dritte Schicht, ist mir nicht zu warm. Aber die Faszination, als sich das Schiff in Bewegung setzt, ist grösser wie die Angst vor dem Frieren. Gebannt schauen wir uns die Eisplatten an, die verschoben, vertrinken und verstückelt werden. Hinter dem Eisbrecher bleibt nur noch Chrashed-Ice in XXL-Format. Allerdings muss man auch sagen: es ist etwas schade, dass der Eisbrecher in der Fahrspur der vorangegangenen Fahrten fährt und das ganz grosse Wow etwas ausbleibt. Es gibt nur einen ganz kleinen Moment, wir stehen zuvorderst an der Reeling, als der Eisbrecher mitten im Meer seine «Ankerposition» einnimmt und dafür mit Volldampf auf das Eis fahren muss. Da donnert es gewaltig und das ganze Schiff wird durchgeschüttelt, bevor es steht. Was wäre das eine Fahrt gewesen, wenn es immer durch solch dickes Eis gehen würde…
Als das Schiff steht, werden die Schrauben so gedreht, dass hinter dem Schiff etwa 10m freies Wasser entsteht. Und da darf man dann gruppenweise in die überdimensionierten DonaldDuck-Anzüge und aufs Meer liegen. Wir wären in der 6. Gruppe von 6, verzichten aber darauf. Lieber sind wir die allerersten, die die Gangway runter aufs Eis gehen und dann das ganze Eis und das ganze Meer für uns alleine haben. Alle anderen getrauen sich entweder noch nicht oder wollen Eisbaden gehen.
Wir geniessen es total, und weil das Schiff nicht mehr weiter kann, ist ein starker Mann gesucht, der es aus dem Eis ziehen kann (siehe Bild 1).
Nach und nach kommen dann auch die Inder, Chinesen, Koreaner und weiss wer nicht alles auf das zugefrorene Meer. Der richtige Zeitpunkt, dass wir uns zurück aufs Schiff machen und dort im kleinen Kaffee in Ruhe und an der Wärme (sehr wichtig) eine heisse Schokolade geniessen.
Als wir endlich wieder schön warm haben, treten wir nochmals aufs Eis und sind dieses Mal die letzten, aber wieder alleine.
Die Rückfahrt dann zum Hafen ist wieder spektakulär übers Eis, aber noch viel spektakulärer ist das Anlegemanöver. Der Eisbrecher muss Rückwärts an die Mole. Und beim Rückwärtsfahren schiebt er 20m Eisschollen vor sich her, die er an der Mole auf 10m zerdrückt, aber dann nicht mehr weiter kommt. So wird der grosse Eisbrecher mit einem dicken Tau an den Pollern befestigt, 10x umwickelt, bis alles wirklich fest ist. Danach treten die Matrosen weit weg vom Poller (und wir aus natürlichem Instinkt verstecken uns hinter den grossen Matrosen) und dann gibt das grosse Schiff mächtig Gas. Die Motoren heulen auf, das Schiff erzittert, das Seil zerreisst fasst und die Poller ächzen und stöhnen. Aber weil dadurch so unheimlich viel Wasser gegen das Eis strömt, drückt es die grossen Eisplatten vom Schiff und Mole weg, bis das Crashed-Ice nur noch klein ist. Danach werden die Motoren runtergefahren, das dicke Tau gelöst und der Eisbrecher kann nun ganz in Ruhe zur Mole hin fahren. Eindrücklich und total spannend.
20 Minuten später sind wir beim Knutschi, wechseln noch kurz den Parkplatz und machen es klar für die Nacht. Wärmste Temperatur heute: minus 14 Grad.
Sonnenaufgang 9:37 Uhr Untergang 15:22 Uhr, Tageslänge 5:45 Std
Schneefall, -14 bis -22 Grad
24.1.2025 - Wow!
Michael Pohl
24.1.2025 - Das Foto mit dem Eisbrecher im Schlepptau von Rolf ist einfach der Hit - ein Hingucker.
Andreas