Wir nehmen etwas Risiko auf uns und gewinnen
Es ist jetzt genau 2:55 Uhr und ich beginne bei blauem Himmel und Sonnenschein den Eintrag des heutigen (gestrigen) Tages zu schreiben. Es ist einfach eine einmalige Stimmung, in der Nacht bei Sonne zu arbeiten.
Begonnen hat es heute Morgen ebenfalls bei Sonne und absolut toller Aussicht auf das Meer. Anita knetet den Brotteig ein letztes Mal und backt danach ein feines Brot. Ich plane den heutigen Tag, bis wir mittags dann endlich losfahren. Es geht über Hügel, knapp 300m hoch und dennoch ein Gefühl wie auf 3000m. Bei schönstem Wetter fahren wir an 100 blauen kleinen Seen vorbei, teils noch mit Schnee/Eis im Wasser, weissen Schnee- und braunroten Geröllfeldern. Eine Landschaft wie gemalt. Die Strasse in leichten Bögen mal leicht hoch oder runter und gut ausgebaut. Einfach ein Traum. Bei Rastplätzen lassen wir die Drohne fliegen und fangen das Landschaftsbild von oben ein. Dort wo es grüner ist, fotografieren wir säugende Rentiere. Wir sind auf der 888 von Ilfjord nach Gamevik in der Finmark unterwegs, also dem Teil des hohen Nordens von Norwegen.
Als es ins Meer hinunter nach Mehamm geht, sind wir plötzlich im Nebel. Der wird dann schon wieder weggehen, denken wir, aber wir täuschen uns gewaltig. In Mehamm ist nicht viel los, aber es gibt dort einen kleinen Hafen, wo das grosse Hurtigruten-Schiff auf seiner Poststrecke anhält. Die Nordroute planmässig um 19:15 Uhr, die Südroute um 1:20 Uhr. Und das spezielle: die Nordroute fährt 2:45 Uhr bis sie um 22 Uhr in Berlevåg ankommt und die Südroute fährt um 22:35 Uhr dort los und kommt eben auch 2:45 Uhr später wieder in Mehamm, dem nördlichsten Hafen der gesamten Hurtigrouten an. Wir könnten also das Womo in Mehamm stehen lassen und eine Station mit dem Hurtigruten fahren, dort Umsteigen und mit dem nächsten Schiff wieder zurück. Das Problem: wir haben nur 35 Minuten Zeit und falls sich das erste Schiff verspätet und wir in Berlevåg stranden, sind wir im nirgendwo. Wir wollen uns am Hafen erkunden, ob unser Plan aufgehen kann. Aber das Hurtigroutenbüro im Hafen ist nur dann geöffnet, wenn die Schiffe kommen, damit haben wir gerechnet. Also bleiben uns noch ein paar Stunden zeit.
So fahren wir nochmals etwas über 20 Km nach Gamvik (nördlichste Stadt auf dem Festland) und dort zum Leuchtturm Slettnes fyr. Es ist der nördlichste Leuchtturm auf dem Festland, das Nordkapp liegt ja genau genommen auf einer Insel.
Also, nördlichster Luchtturm auf dem Festland: Slettnes fyr, nördlichster Punkt auf dem Festland (Wanderung von Flughafen Gamvik 25km ein Weg, das ist uns zu weit), Nordkap nördlichster Punkt, der mit einem Fahrzeug ohne Fähre erreicht werden kann, daneben gibt es noch die Wanderung nach KnivsKjellodden, wo der Punkt etwas nördlicher als das Nordkap liegt, (nördlichster Punkt Europas ohne Spitzbergen, Nowaja Semlja und Franz-Josef-Land), aber auch diese Wanderung von ca. 5 Std. hin und zurück haben wir sausen lassen. Ist ja nicht mal der nördlichste Punkt auf einer Insel von Europa… )
Aber jetzt stehen wir im Nebel beim nördlichsten Leuchtturm und er sieht schon noch gut aus, aber rundherum Baustelle, sie renovieren grad die Nebengebäude, damit die wenigen Touristen ab nächstes Jahr auf eine tolle Toilette gehen können. Es reisst uns nun nicht wahnsinnig vom Hocker (wahrscheinlich wegen dem Nebel), aber wir treffen dort zum dritten Mal auf unserer Reise zufällig Ursula und Norbert. Sie sind begeistert von der Idee mit dem Hurtigrouten eine Fahrt zu machen. So verabreden wir uns um 18 Uhr im Hafen von Mehamm.
Wir fahren zurück nach Mehamm, gehen spazieren, schauen uns die Geschäfte an, wo die meisten absolut verlassen da stehen, aber es hat ein Pub und ein Weihnachtsmuseum.
Wir betreten das Pub und sind so endlich mal in einer guten Kneipe. Dort treffen wir wieder einen Schweizer, der uns ein paar Tipps gibt und der Barkeeper meint von unserem geplanten Tripp nur, könnte funktionieren, kann aber auch in die Hosen gehen. Und das Hurtigrutenbüro am Hafen ist eine halbe Stunde vor Ankunft des Schiffes besetzt.
Also bleiben wir noch einen Moment im Womo und stehen um 18:30 Uhr mit Ursula und Norbert vor dem Hafenbüro. Kein Mensch da, aber der Warteraum mit norwegischen Heftchen ist offen. Um 18:45 Uhr ist immer noch niemand da und um 19 Uhr ist weder ein Schiff noch eine Person da. Und das Schiff hätte um 18:55 Uhr einlaufen sollen.
Uns kommen erste berechtigte Zweifel, ob das noch etwas wird. Um 19:15 fährt dann ein Auto vor und ein Arbeiter steigt aus, wir stürzen uns auf ihn und fragen, ob das klappt, was wir vorhaben. Er meint nur, das Schiff kommt gleich und könnte klappen, aber er habe momentan keine Ahnung, wir sollen auf dem Schiff fragen.
Und dann sehen wir die Nordnorge einlaufen, sie steuert präzise die winzigen Anlegestelle an und landet punktgenau. Passagiertüre auf, Frachtklappe auf und wir stehen um 19:30 Uhr im Schiff an der Reception und fragen, ob unser Plan klappen könnte. Könnte sein, aber auch nicht, sie wissen es nicht. Geht es etwas genauer, bitte? Ob wir mitwollen oder nicht, sie schliessen die Luke in 30 Sekunden. Uff, was machen? Anita und ich schauen uns an, wir bleiben und riskieren es, Norbert und Ursula zweifeln, bleiben aber auch notgedrungen, denn die Luke schliesst sich schon.
Jetzt müssen wir noch 5 Minuten warten, da die Dame an der Reception die Gangway und die Luke einfahren und ganz schliessen muss. Das riesige Schiff war keine 3 Minuten an diesem Hafen angedockt und fährt schon wieder los. Die Dame verkauft uns nun die Tickets, ca. CHF 20.- pro Person, und meint, eigentlich sollte es reichen. Das klitzelkleine Problem ist nur, dass in Berlevåg nur ein Schiff an die Mole kann und wenn die Südroute eher da ist, wird die Südroute abgefertigt, und erst danach die Nordroute. Dann hätten wir aber Pech gehabt und stranden im nirgendwo. Aber immerhin, unsere Chancen stehen bei 90%.
Das ist jetzt nicht gerade beruhigend, aber wir sind auf dem Schiff und machen eine Inspektion. Schön ausgebaut, eigentlich ein Kreuzfahrtschiff und uns sticht sofort ein schönes Restaurant ins Auge. Allerdings hat es nur bis 22 Uhr auf. Wenn wir also etwas essen wollen, müssen wir das auf der Hinfahrt machen, auf der Rückfahrt wäre das Restaurant dann wahrscheinlich zu.
Also rein, Karte studieren, Elchtartar, Rentiersteak und arktischer Saibling bestellen und uns verwöhnen lassen. Das Essen ist echt der Hammer, mindestens ein 4 Stern-Restaurant. Wir geniessen es so richtig.
Von der Fahrt der Küste entlang bekommen wir nichts mit, dicker Nebel, weder Küste noch sonst etwas sehen wir. Aber das Essen lassen wir uns schmecken. Zum Dessert gibt’s dann noch eine norwegischer Schokokuchen und schon sind wir fast im Hafen von Berlevåg. Wir sehen weder eine Stadt noch sonstige Infrastruktur, nur eine kahle Hafenmole. Alles andere vermuten wir hinter dem Nebel.
Dann legt dieses Schiff immer noch 20 Minuten verspätet an und es geht genau gleich schnell, wie in Mehamm. Kaum sind wir draussen (es steigen genau wir vier aus und sonst niemand) wird die Luke wieder geschlossen und das Schiff legt ab. 5 Minuten später stehen wir auf dieser einsamen, kahlen Hafenmole im Nebel und wissen nicht, ob jetzt die Südroute noch kommt oder schon weg ist. Was machen, wenn sie weg ist? Es soll irgendwo in der Nähe ein Hotel haben. Welche Richtung?
Aber dann hören wir drei richtig laute Schiffssirenen, die von drei anderen beantwortet werden. Glück, die Hurtigruten Schiffe kreuzen sich direkt vor dem Hafen und schon fährt die Südroute in den Hafen und an unsere Mole.
Es ist echt eindrücklich, wie präzise diese Monster anlegen aber dann müssen wir doch staunen: es wird eine riesige Frachtluke geöffnet wo ein LKW leicht platz finden würde und das kleine Paket mit 4 Champagnerflaschen, das einsam auf der Mole liegt, wird durch diese Frachtluke eingeladen. Die hätten wir auch über den Personengangway hineintragen können.
Die MS Richard With, ein 11’205 Tonnen-Schiff (122m Länge) ist diesen Hafen angefahren wegen 4 Champagnerflaschen und 4 Wohnmobilisten!
Wir bezahlen wieder 20 CHF pro Person für die Rückfahrt und geniessen nun dieses baugleiche Schiff wie bei der Herfahrt die Nordnorge. Wir können nichts mehr essen, die Restaurants und Bars sind zu, die Kreuzfahrtspassagiere schlafen, der Nebel hat uns draussen fest im Griff. Sicht gleich null.
Aber es ist ein tolles Gefühl, auf der Hurtigrute zu sein und die Bordkarte inkl. gedruckten Namen in den Händen zu halten. Sollen wir zum Kapitän, und diese unterschreiben lassen?
Auf der Fahrt sehen wir weder Wale noch Delfine oder Küste oder andere Schiffe, aber wir kommen nun fast pünktlich wieder in Mehamm an. Immer noch im Nebel.
Wir verabschieden uns von Ursula und Norbert und entscheiden uns, noch eine halbe Stunde in die Berge zu fahren, wir vermuten, dass über dem Nebel schönstes Wetter herrscht.
Und wir haben richtig vermutet. Jetzt stehen wir an der schönsten Sonne in den Bergen, geniessen sie, obwohl es inzwischen 4:03 Uhr ist. Warum schlafen? Das kann man im Dunkeln oder schlechten Wetter wieder…
PS: die Hurtigrute nimmt keine Wohnmobile mit und PW's nur auf Voranmeldung.
Sonnenauf- und Untergang: -
172km
2:56 h Fahrzeit
58km/h
10.5 l/100km